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Nachhaltigkeit ist wichtiger Wettbewerbsfaktor für Unternehmen - Interview mit Prof. Dr.-Ing. Hartmut Kainer, Präsident der Hochschule für Exzellenz (HEX) in Fürigen


Der Fachkräftemangel stellt Unternehmen und Organisationen in Deutschland vor große Herausforderungen. Die Hochschule für Exzellenz (HEX) in Fürigen (Schweiz) hat mit ihrer Studie zum Thema Fachkräftemangel nicht nur Ursachen und Maßnahmen erforscht, sondern auch die Bedeutung von Nachhaltigkeit und Digitalisierung in diesem Kontext hervorgehoben. Um diesem Problem entgegenzuwirken, konzentriert sich die HEX auf verschiedene Aspekte wie Unternehmensattraktivität, Strategie, Mitarbeiterfindung, -bindung und -entwicklung, Führung, Nachhaltigkeit sowie Innovation und Wissensmanagement. Wir sprachen mit Prof. Dr.-Ing. Hartmut Kainer, Präsident der HEX, über die Nachhaltigkeit als wichtigen Wettbewerbsfaktor für Unternehmen und die Chancen und Herausforderungen der digitalen Transformation für den Wirtschaftsstandort Deutschland.

Prof. Dr.-Ing. Hartmut Kainer, Präsident der HEX: "Nachhaltigkeit gewinnt für junge Arbeitssuchende zunehmend an Bedeutung und ist ein wichtiger Faktor bei der Wahl eines Arbeitgebers."

Herr Prof. Kainer, das Thema Fachkräftemangel ist zurzeit in aller Munde. Selten wird es aber im Zusammenhang mit Nachhaltigkeit diskutiert. In Ihrer Studie haben Sie Nachhaltigkeit als eines von zehn Kernthemen identifiziert. Wie wichtig ist das Thema für junge Arbeitssuchende? Welchen Stellenwert hat es bei der Wahl eines potenziellen Arbeitgebers?

Sie haben Recht, dass das Thema Nachhaltigkeit in der Diskussion um den Fachkräftemangel bisher oft vernachlässigt wurde. Unsere Studie zeigt jedoch, dass Nachhaltigkeit für junge Arbeitssuchende zunehmend an Bedeutung gewinnt und ein wichtiger Faktor bei der Wahl eines Arbeitgebers ist.

Für die Generation der Millennials und der nachfolgenden Gen Z ist ein nachhaltiges und verantwortungsvolles Unternehmenshandeln ein zentrales Kriterium. Sie wollen nicht nur einen attraktiven Arbeitsplatz, sondern auch einen Arbeitgeber, der sich glaubwürdig für Umweltschutz, soziale Verantwortung und ethische Werte einsetzt.

Unsere Umfragedaten zeigen, dass über 70% der jungen Fachkräfte bei der Jobsuche auf die Nachhaltigkeitsleistung und -strategie eines Unternehmens achten. Sie wollen Teil einer Organisation sein, die nicht nur wirtschaftlich erfolgreich ist, sondern auch einen positiven Beitrag zur Gesellschaft und Umwelt leistet.

Unternehmen, die ihre Nachhaltigkeitsaktivitäten aktiv kommunizieren und vorleben, haben daher einen entscheidenden Wettbewerbsvorsprung bei der Gewinnung von Talenten. Nachhaltigkeit ist somit zu einem zentralen Faktor der Arbeitgeberattraktivität geworden.

Wie können gerade kleine und mittlere Unternehmen von einer nachhaltigen Unternehmensführung profitieren?

Es stimmt, dass gerade kleine und mittlere Unternehmen (KMU) von einer nachhaltigen Unternehmensführung in vielerlei Hinsicht profitieren können. Obwohl viele KMU-Führungskräfte zunächst Bedenken haben, dass Nachhaltigkeit eine zusätzliche Belastung darstellt, zeigen die Ergebnisse unserer Studie, dass es zahlreiche Chancen gibt:

Zum einen werden Banken, Investoren und Großkunden zunehmend Nachhaltigkeitskriterien bei der Vergabe von Krediten, Aufträgen und Kooperationen berücksichtigen. KMU, die ihre Nachhaltigkeitsleistung proaktiv managen und kommunizieren, haben daher einen entscheidenden Wettbewerbsvorsprung.

Darüber hinaus können KMU durch Effizienzsteigerungen bei Energie, Ressourcen und Abfallmanagement direkt Kosten sparen. Gleichzeitig stärkt eine glaubwürdige Nachhaltigkeitsstrategie das Employer-Branding und erleichtert die Gewinnung und Bindung von Fachkräften.

Nicht zuletzt bietet eine ganzheitliche Nachhaltigkeitsausrichtung die Chance, neue, wertstiftende Geschäftsmodelle zu entwickeln. Wenn Mitarbeiter aktiv eingebunden werden, bringen sie oft innovative Ideen ein, von denen das gesamte Unternehmen profitiert.

Zusammengefasst zeigt sich, dass Nachhaltigkeit für KMU weit mehr ist als eine Belastung - es ist eine Quelle für Wettbewerbsvorteile, Kosteneinsparungen und Innovationen. Unternehmen, die dieses Potenzial erkennen und nutzen, werden langfristig gestärkt aus dem Transformationsprozess hervorgehen.

Als weiteres wichtiges Thema wurde in der HEX-Studie die digitale Transformation identifiziert. Welche Chancen, aber auch Hindernisse sehen Sie hier für den deutschen Mittelstand?

Sie sprechen einen wichtigen Punkt an - die digitale Transformation ist in der Tat ein zentrales Thema in unserer HEX-Studie. Für den deutschen Mittelstand sehen wir dabei sowohl große Chancen als auch einige Herausforderungen.

Hier ein Überblick:

Chancen der digitalen Transformation:

  • Effizienzsteigerung durch Automatisierung und Digitalisierung von Geschäftsprozessen
  • Erschließung neuer Geschäftsfelder und Innovationen durch den Einsatz von Technologien wie KI und Datenanalyse
  • Verbesserung der Kundenorientierung und -erfahrung durch digitale Vertriebskanäle und Services
  • Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit durch erhöhte Agilität und Flexibilität

Herausforderungen und Hindernisse:

  • Fehlende digitale Kompetenzen und Qualifikationen bei Mitarbeitern
  • Hohe Investitionskosten für die Digitalisierung der Infrastruktur und Prozesse
  • Kultureller Wandel und Überwindung von Widerständen gegenüber Veränderungen
  • Mangelnde Datensicherheit und Cybersicherheit
  • Unklare Strategie und fehlendes Change-Management

Viele mittelständische Unternehmen haben diese Hürden noch nicht vollständig überwunden. Allerdings zeigen die Vorreiter, dass eine konsequente digitale Transformation enorme Wettbewerbsvorteile bringen kann. Entscheidend ist, dass Führungskräfte die Digitalisierung als strategische Priorität verankern und Mitarbeiter aktiv in den Veränderungsprozess einbinden.

Sie kommen in Ihrer Studie zu dem Ergebnis, dass eine Lösungsfindung für den aktuellen Fachkräftemangel einen ganzheitlichen Ansatz erfordert. Wie könnte dieser aussehen?

Aus unserer Sicht wird Digitalisierung tatsächlich noch zu wenig mit Nachhaltigkeit zusammengedacht, obwohl beide Themen hervorragend zusammenpassen.

Als Ingenieur hab schon früh erkannt, dass Daten und Informationen die Grundlage für jede Nachhaltigkeitsbestrebung sind. Ohne präzise Messungen und Analysen lässt sich Verbesserung nicht erreichen. Hier bietet die Digitalisierung enorme Potenziale, die bisher oft noch nicht ausgeschöpft werden.

Viele Unternehmen hantieren heute noch mit "Aktenbergen und Berichtkladden", anstatt die Möglichkeiten moderner Datenerfassung und -auswertung zu nutzen. Ohne den Einsatz digitaler Technologien ist ein effektives Nachhaltigkeitsmanagement kaum mehr möglich.

Die Digitalisierung liefert die Werkzeuge, um Ressourcenverbräuche, Emissionen und andere Nachhaltigkeitskennzahlen präzise zu erfassen, zu analysieren und darauf aufbauend Optimierungen vorzunehmen. Gleichzeitig können digitale Lösungen wie Sensornetzwerke, KI-gestützte Prozesssteuerung und Kreislaufwirtschaftsplattformen direkt zur Steigerung der Nachhaltigkeit beitragen.

Unternehmen, die Digitalisierung und Nachhaltigkeit ganzheitlich denken und verknüpfen, werden daher langfristig deutliche Wettbewerbsvorteile erzielen. Es ist an der Zeit, diese beiden Megatrends systematisch zusammenzudenken und zu nutzen.

Sie kommen in Ihrer Studie zu dem Ergebnis, dass eine Lösungsfindung für den aktuellen Fachkräftemangel einen ganzheitlichen Ansatz erfordert. Wie könnte dieser aussehen?

Ja, die Lösung des Fachkräftemangels erfordert in der Tat einen ganzheitlichen Ansatz. Wie wir in unserer Studie herausgearbeitet haben, müssen Unternehmen verschiedene Aspekte systematisch und integriert angehen.

Neben der Unternehmensattraktivität gehören dazu auch Strategie, Mitarbeiterfindung, -bindung und -entwicklung, Führung, Nachhaltigkeit sowie Innovation und Wissensmanagement. Es ist entscheidend, dass die Unternehmensführung diesen ganzheitlichen Ansatz vorantreibt und die einzelnen Bausteine optimal aufeinander abstimmt.

Dabei ist es wichtig, den Blick nicht nur auf Kennzahlen und Benchmarks zu richten, sondern das Gesamtbild im Blick zu haben. Nur so lassen sich die teilweise konkurrierenden Anforderungen an Attraktivität, Effizienz und Nachhaltigkeit in Einklang bringen.

Es gibt bereits viele gute Praxisbeispiele, an denen sich andere Unternehmen orientieren können. Entscheidend ist, dass der Fachkräftemangel als strategische Herausforderung verstanden und mit einem integrierten Konzept angegangen wird. Nur so können Unternehmen langfristig wettbewerbsfähig und attraktiv für Talente bleiben.

Auf Grundlage Ihrer Studie: Wie sollte ein mittelständisches Unternehmen im Idealfall aufgestellt sein, um möglichst attraktiv für Fachkräfte zu sein?

Aus unserer Sicht sind die drei entscheidenden Faktoren für die Attraktivität eines mittelständischen Unternehmens als Arbeitgeber:

  1. Geschäftsmodelle: Innovative, zukunftsfähige Geschäftsmodelle, die Mitarbeitern interessante und herausfordernde Aufgaben bieten.
  2. Geschäftsprozesse: Effiziente, digitalisierte Abläufe, die Mitarbeitern Freiraum für kreatives und selbstständiges Arbeiten lassen.
  3. Menschen: Eine wertschätzende Unternehmenskultur, die Mitarbeiterengagement, Weiterbildung und Entwicklungsmöglichkeiten fördert.

Unternehmen, die diese drei Aspekte ganzheitlich und aufeinander abgestimmt gestalten, können Fachkräfte am besten für sich gewinnen und langfristig binden.  Entscheidend ist, dass die Unternehmensführung diesen integrierten Ansatz konsequent umsetzt und die verschiedenen Bausteine miteinander verzahnt. Nur so können mittelständische Unternehmen ihre Attraktivität als Arbeitgeber systematisch steigern und dem Fachkräftemangel effektiv begegnen.

Herr Prof. Kainer, vielen Dank für das Gespräch!

Vielen Dank für das interessante Gespräch. Unsere Studie zeigt, dass Unternehmen, die Nachhaltigkeit und Digitalisierung ganzheitlich mit der Steigerung ihrer Attraktivität als Arbeitgeber verknüpfen, langfristig gestärkt aus dem Fachkräftemangel hervorgehen werden.

Ich hoffe, wir konnten mit unserer Studie Ihnen einige wertvolle Impulse für die Praxis geben.