Frau Ministerin, Ende 2020 hat die EU-Kommission den „European Green Deal“ verabschiedet, mit dem Europa 2050 der erste klimaneutrale Kontinent sein soll. 50 Prozent der angestrebten CO2-Einsparungen sollen über die Transformation unserer linearen Wirtschaft hin zu einer Circular Economy erreicht werden. Ist dieses Ziel realistisch?
Ministerin Heinen-Esser: Das Ziel ist ehrgeizig, aber bei gemeinsamer Anstrengung aller Akteure kann es erreicht werden. Es wurde in enger Abstimmung aller beteiligten EU-Staaten formuliert. Daher stehen alle hier jetzt in der Verantwortung. Klimaneutralität ist ein zentraler Baustein für ein nachhaltiges Leben und Wirtschaften. Die Herausforderungen unserer Zeit sind groß – vom Klimawandel über den Verlust der biologischen Vielfalt bis zur Ressourcenverknappung. Hier müssen wir dringend gegensteuern. Wie schlimm die Auswirkungen zunehmender Wetterextreme durch den Klimawandel sein können, haben die verheerenden Hochwasser dieses Jahr gezeigt. Der Weg aus der Pandemie muss in eine ökologisch, ökonomisch und sozial nachhaltige Zukunft führen. Die Circular Economy ist dabei ein wichtiger Bestandteil zur Bewältigung der Aufgaben. Indem wir Wertschöpfungsketten umweltschonend schließen, unsere Konsummuster nachhaltig gestalten, gestalten wir Zukunft.
Bürdet dieses Ziel Wirtschaft und Gesellschaft nicht zu viel auf?
Ministerin Heinen-Esser: Das denke ich nicht. Die Politik belässt es ja nicht bei Regulierungen und Forderungen, sondern bietet Anreize und Unterstützung an und begleitet diesen ebenso anspruchsvollen wie notwendigen Weg partnerschaftlich. Gerade wir in unserem besonders stark von Industrie und Energiewirtschaft geprägten Bundesland wissen, wie wichtig das ist. Hier gilt es, die Wirtschaftsleistung zu erhalten und zugleich unsere Ressourcen zu schonen und unsere Umwelt zu schützen.
Die Effizienz-Agentur NRW ist ein besonders gutes Beispiel dafür, wie seitens der öffentlichen Hand Impulse ausgelöst werden können, die die Unternehmen sowohl aus ökonomischen als auch aus ökologischen Gründen überzeugen. Entscheidend ist es aber, dass alle Akteure bis hin zum Handel und den Konsumenten eingebunden sind. Das Mitte 2020 beschlossene „Nordrhein-Westfalen-Programm“ zur Bewältigung der Folgen der Corona-Pandemie und zur Stärkung der Zukunftsfähigkeit NRWs setzt hier wichtige Signale: So werden rund 27 Millionen Euro für weitere Maßnahmen zur kommunalen Klimaanpassung, zum Ausbau grüner Infrastruktur und zum Flächenrecycling zur Verfügung gestellt. In Ergänzung zum Konjunkturprogramm des Bundes werden zudem zusätzliche Mittel in Höhe von 15 Millionen Euro für die Stärkung der Ressourceneffizienz und der Kreislaufwirtschaft sowie für Investitionen in die Umweltwirtschaft bereitgestellt, das ist ein starkes Zeichen.
Herr Dr. Jahns, ist Circular Economy ein handhabbarer Ansatz für produzierende Unternehmen?
Dr. Peter Jahns: Unsere gegenwärtige Wirtschaftsweise ist sehr linear ausgerichtet: Abbauen, herstellen, nutzen, wegwerfen ist bis heute überwiegend der Standard. Durch die bisherige Kreislaufwirtschaft, die unsere Abfälle auffängt und nach Möglichkeit in die Produktion zurückführt, konnte schon einiges erreicht werden, was durch den Ansatz der Ressourceneffizienz nochmals verstärkt wird. Aber eine echte Kreislaufwirtschaft im Sinne einer Circular Economy meint mehr: Dort wird bereits beim Produkt angesetzt, das in der Art gestaltet wird, dass es für mehrere der elf sogenannten R-Strategien der Circular Economy geeignet ist. Im Idealfall ist es langlebig, wiederverwendbar, reparaturfreundlich und am Ende des Lebenszyklus leicht und vollständig verwertbar.
Aber es geht nicht allein um wertstoffliche Wiederverwertung der gebrauchten Produkte oder Abfälle, sondern um die Frage: Mit welchen Produkten oder Dienstleistungen können die Konsumentenbedürfnisse ressourcenschonend befriedigt werden? Daraus ergeben sich letztendlich auch neue Geschäftsmodelle, die klima- und umweltschonender sind als die bisher vertrauten Konzepte.
Unternehmen haben somit die Chance, Teil einer Circular Economy zu sein. Kein Unternehmen wird allein CE umsetzen können und auch nicht müssen: Jeder Akteur, vom Hersteller über den Handel und den Konsumenten bis zum Sammler oder Recycler, muss einen Beitrag im Rahmen seiner Möglichkeiten leisten, um schließlich das Gesamtkonzept einer Circular Economy zu ermöglichen. Es handelt sich somit nicht um eine Methode, sondern um ein strategisches Dach–also eine Art Gesellschaftsvertrag: Wie wollen wir konsumieren, um unserer Verantwortung für eine lebenswerte Umwelt den kommenden Generationen gegenüber gerecht zu werden?
Sie sprechen das Produktdesign an–welche Rolle spielt das für die CE?
Dr. Peter Jahns: Produkte müssen so gestaltet werden, dass ihr Weiterleben sozusagen schon bei der Entwicklung berücksichtigt wird Mit der Designphase wird nicht nur der Großteil der Kosten eines Produktes definiert, sondern es werden auch rund 80 Prozent der Umweltauswirkung bei Produktion, Nutzung und Recycling festgelegt. Nicht zu vergessen, hat das Design einen wesentlichen Einfluss auf die Konsummuster. Das verdeutlicht, welch riesiger Hebel im ecodesign als zentralem Instrument einer ressourcenschonenden Circular Economy liegt.
Mit unserem Ansatz ecodesign> unterstützen wir die Unternehmen bei der Entwicklung ressourcenschonender Produkte bis hin zu neuen Geschäftsmodellen. Wichtig ist es, auf die Wertschöpfungsketten zu schauen, in der alle, vom Vorlieferanten bis zum Inverkehrbringer eines Produktes, zusammenwirken. Die einzelnen Stationen dieser Kette können mit unseren Tools zur Ressourceneffizienz-Analyse oder mit unserem Angebot ecocockpit zur CO2-Bilanzierung einzeln analysiert werden.
Welchen Stellenwert hat die Umweltpolitik für CE?
Ministerin Heinen-Esser: Unsere Wirtschaft bzw. unsere Lebens- und Konsumweise muss ressourcenschonender werden, sowohl in der Herstellung von Gütern als auch bei der Energieversorgung. Indem wir uns als Gesellschaft und Volkswirtschaft nachhaltig aufstellen, gestalten wir Zukunft und Zukunftsmärkte–die Circular Economy bietet dafür den richtigen Ansatz und Rahmen. Diese Idee findet immer mehr Anhänger auch hier in NRW: Unzählige Akteure aus der Wissenschaft, der Wirtschaft, den Kommunen und der Zivilgesellschaft machen sich auf den Weg.
Wir als Umweltministerium unterstützen die Unternehmen zum Beispiel mit den konkreten Beratungsleistungen der EFA. Außerdem fördern wir Netzwerkaktivitäten mit dem Kompetenznetzwerk Umweltwirtschaft, wir unterstützen grüne Gründungen, passen den regulativen Rahmen an und gestalten Förderprogramme, um den Übergang zu einer Circular Economy zu erleichtern. Im Rheinischen Revier soll nach dem Ausstieg aus der Braunkohle beispielsweise eine Modellregion für eine nachhaltige wirtschaftliche Entwicklung mit vielen innovativen Unternehmen im Bereich der Ressourcen und Bioökonomie entstehen.
Dr. Peter Jahns: Umweltorientierung ist mit den Mitteln des Marktes allerdings nur durchsetzbar, wenn es gelingt, ökologische Produkte und nachhaltigen Konsum sowohl im produzierenden Gewerbe als auch bei uns Kunden wettbewerbsfähig zu gestalten. Ressourcenschonung allein wird in diesem System nicht von sich aus honoriert.
Die Alternative wäre, uns als Gesellschaft dahingehend zu einigen, im Hinblick auf die Bewahrung der Schöpfung für spätere Generationen jetzt einen finanziellen Mehraufwand in Kauf zu nehmen, um dieses Ziel in dem verbleibenden engen Zeitfenster zur Eindämmung des Klimawandels zu erreichen. An den bisherigen Erfolgen in unseren Projekten mit den Unternehmen erkennen wir, dass sich ein Großteil dieser Transformation durch Ansätze der Ressourceneffizienz in Produktion und Produkten erreichen lässt–jetzt müssen wir noch die weiteren Schritte zu einer Circular Economy gehen und die Stoffkreisläufe schließen: Durch eine umweltschonende Wirtschaftsweise können wir so nicht nur wettbewerbsfähiger, sondern auch zukunftsfähiger werden.
Die Effizienz-Agentur NRW zeigt den Unternehmen, wie sie an der CE partizipieren–damit eine Circular Economy aber in unserer Gesellschaft ins Laufen kommt, bedarf es der Mitwirkung aller Beteiligten. Den Anfang dazu in NRW zu machen, ist angesichts der Marktbedeutung des Landes und der Sensibilität für die Umwelt passend.
Das Interview ist im aktuellen EFAplus-Magazin> zum Thema Ciruclar Economy erschienen.