Herr Adelt, was macht Ihr Unternehmen?
Wir entwerfen und produzieren seit 65 Jahren Werbe- und Präsentationsmittel wie Musterkoffer, Musterkollektionen und Produktverpackungen. Ich selbst stehe in dritter Generation in der Verantwortung für das Unternehmen, in dem wir heute 50 Beschäftigte haben.
Standen zu Beginn reine Verarbeitungsleistungen im Vordergrund, haben wir uns über die Jahrzehnte zu einem echten Partner auf Augenhöhe für unsere Kunden entwickelt, hauptsächlich in der Region, aber auch bis in die USA und nach Neuseeland.
Begonnen haben wir wie so viele in der damaligen Zeit mit dem klassischen Top-Down-Ansatz. Ab Mitte der 90er wurden die Anforderungen immer komplexer, die Variantenvielfalt stieg immer weiter.
Heute stellen wir den Kundennutzen ins Zentrum, indem wir uns gemeinsam mit dem Kunden fragen: Was soll mit dem Produkt erreicht werden? Dann entwickeln wir kreativ maßgeschneiderte Lösungen. Ein Beispiel: Wir entwarfen eine hochwertige Verpackungslösung für durch Sponsoren verteilte VIP-Eintrittskarten für Arminia Bielefeld. Die Empfänger werden durch die Gestaltung und das Design noch weit über den eigentlichen Anlass hinaus zur Weiternutzung beispielsweise als Aufbewahrungsbox motiviert, was wiederum dem Sponsoren zugutekommt. Kurz gesagt, die Kunden sollen mit der Lösung einen Mehrwert geliefert bekommen.
Wie kamen Sie dazu, sich mit dem Thema Agiles Arbeiten zu beschäftigen? Was war der Auslöser, wie sind Sie darauf aufmerksam geworden?
Ich habe mich schon relativ früh mit dem Konzept des agilen Arbeitens beschäftigt. Der Anlass, es konsequent im eigenen Unternehmen anzugehen, war aber kein schöner. Vor knapp zwei Jahren mussten wir trotz jahrelanger Versuche, die Firma am Markt zu halten, Insolvenz anmelden. Das war ein herber Einschnitt für meine damals noch 100 Mitarbeiter und natürlich auch für mich persönlich. Nach einem harten Sanierungsprozess gelang uns schließlich der Turnarond durch die Konzentration auf die wirklich wichtigen Dinge. Dazu gehörte die signifikante Stärkung des kreativen Bereichs, Stichwort Kundennutzen, und des Marketings, was heute etwa die Hälfte des Geschäftes ausmacht. Die andere Hälfte ist die produktionstechnische Seite, die aber sehr flexibel und ausgerichtet an die Kundenwünsche aufgebaut ist, ich nenne das gerne „Industriemanufaktur“. Mit dem agilen Arbeiten wollen wir auf die zunehmende Komplexität und die ständige Zunahme der Variantenvielfalt reagieren und Zwänge abbauen, indem die Eigenverantwortung der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter gestärkt wird.
Wie sind Ihre Erfahrungen?
Ehrlich gesagt, habe ich den Aufwand zunächst wirklich unterschätzt. Die Implementierung eines solchen Prozesses ist ein aufwändiger und langwieriger Prozess. Und vor allem ein sehr empfindlicher Prozess, der ständige Kommunikation und Sensibilität mit wirklich allen Beschäftigten im Unternehmen erfordert. Es reicht eindeutig nicht, das nur vorzuleben. Auch darf man das eigene gewünschte Veränderungstempo nicht auf das Unternehmen übertragen. Es ist ein echter Veränderungsprozess, und wer nicht bereit ist diesen Weg zu einer neuen Form der Zusammenarbeit mitzugehen, bleibt im wahrsten Sinne des Wortes „auf der Strecke“.
Ganz klar hilft hierbei externe Unterstützung. Agiles Arbeiten ist hochkomplex und entsprechende Fachexpertise kann helfen, hohe Hürden zu überwinden. Ich habe selbst bemerkt, dass ich trotz meiner intensiven Beschäftigung mit dem Thema bei der Umsetzung im Betrieb an meine Grenzen stoße. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sind nicht selten genervt und, ehrlich gesagt, ich auch. Wir setzen den Prozess jetzt mit einer professionellen Moderation fort. Meine Aufgabe ist es jetzt vor allem, den Rahmen zu schaffen, innerhalb dessen sich der Prozess positiv und konstruktiv weiterentwickeln kann. Als Person bzw. Geschäftsführer nehme ich mich ansonsten mehr zurück,
Was ist für Sie ein "Agiles Mindset"? Welche Elemente sind hier für sie wichtig?
Es steht nicht die Verpflichtung, die Vorgabe, die Ergebniserreichung zum Beispiel anhand von Stückzahlen im Mittelpunkt. Die Entscheidungen darüber, was im Arbeitsprozess gerade das sinnvollste ist, müssen dort getroffen werden, wo sie getroffen werden können. Wichtige Aufgabe ist es, die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu befähigen, diese Entscheidungen für ihren Bereich selber zu treffen. Das erfordert aber auch Eigeninitiative, wie beispielsweise die des Kaufmanns, sich mehr technisches Wissen anzueignen, um Entscheidungen in diesem Bereich besser verstehen und damit akzeptieren zu können. Das ist natürlich keine Einbahnstraße und gilt umgekehrt genauso. Gerade im Umstellungsprozess ist das schwierig und vor allem eine kommunikative Herausforderung.
Das Ganze ist sozusagen ein lebender Organismus, der sich ständig verändert und anpasst. Entsprechend ist auch jedes neue Projekt eine Art Experiment.
Hier sind nicht zuletzt intelligente, digitale Rückmeldesysteme wahnsinnig wichtig, die bei solchen dezentralen Prozessen und Entscheidungen wertvolle Hilfestellung leisten können, indem sie schnell und zuverlässig die Daten bereitstellen und verknüpfen.
Haben Sie dieses Thema "Agiles Arbeiten" von Beginn an mit dem – auf den ersten Blick eher fernliegenden - Thema "Ressourceneffizienz" verknüpft?
Ehrlich gesagt, zunächst nicht. Mit dem agilen Arbeiten aber ergibt sich dieser Zusammenhang fast automatisch. So wurde in der Vergangenheit beispielsweise der Ausschuss als feste Größe mit eingerechnet und entsprechend mit eingekauft und durch alle Produktionsschritte gezogen. Nun könnte man den Zuschuss radikal auf null reduzieren, und entsprechend liegt es in der Eigenverantwortung der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den jeweiligen Produktionsschritten, dafür zu sorgen dass kein Ausschuss entsteht. Lassen sie mich noch ein weiteres Beispiel nennen: 1.000 Musterkoffer werden produziert, 20 dazugehörige Koffergriffe sind defekt. Jetzt wird direkt in der Abteilung die Entscheidung getroffen, ob diese Koffergriffe z. B. repariert und noch eingesetzt werden können, oder ob eine entsprechende Mindermenge rausgeschickt wird. Dafür aber müssen die Beschäftigten - wie schon gesagt - vorher befähigt werden, in ihrem Bereich eigene Entscheidungen zu treffen. Gleichzeitig aber darf diese Entscheidung dann aber auch nicht in Frage gestellt werden. Erst nach Abschluss des Prozesses wird ggfls. besprochen, ob und wie man etwas hätte anders machen können.
Welche Inspiration haben Sie aus den Workshops mit der Effizienz-Agentur NRW mitgenommen?
Die Workshops haben mir nochmal vor Augen geführt, wie wichtig die Einbindung der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ist. Es braucht aber eine „kritische Masse“, die bereit ist mitzugehen. Die Veranstaltungsreihe hat sozusagen den Kopf aufgemacht, und der relativ lange Zeitraum von fast drei Jahren hat nicht zuletzt zu einer Vertrauenskultur unter den Teilnehmerinnen und Teilnehmern geführt. Überhaupt war der Austausch untereinander mindestens genauso wichtig wie der fachliche Input. Auch hier hat sich gezeigt, wie belebend die externe Unterstützung ist. Die Verknüpfung des Konzeptes „Agiles Arbeiten“ mit der Ressourceneffizienz hat einen echten Mehrwert gebracht.
Ist Agiles Arbeiten ein Modell für die Zukunft des Wirtschaftens über Ihr Unternehmen hinaus?
Ich glaube, dass eine Haltung auch für Industrieunternehmen immer wichtiger wird, nicht zuletzt bei den aktuellen Herausforderungen wie Klimawandel und Ressourcenknappheit. Ich muss unter bestimmten Voraussetzungen auch einem Kunden gegenüber „nein“ sagen können. Agiles Arbeiten gibt mir und auch den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern das Rüstzeug und den Rahmen an die Hand, eine Haltung auch für das Unternehmen zu entwickeln und entsprechend zu handeln.
Ganz aktuell: Ist agiles Arbeiten in Corona-Zeiten eher ein Vorteil?
Ein ganz klares Ja! Trotz der insgesamt schwierigen Situation ist der Umgang mit der Pandemie und den entsprechenden wirtschaftlichen Einflüssen für das ganze Unternehmen mit den neuen Strukturen extrem viel besser handhabbar als es mit den alten Strukturen möglich gewesen wäre.
Herr Adelt, vielen Dank für das Gespräch!